Es gibt Kinder, die nicht sprechen können, aber nicht, weil sie nicht möchten, sondern weil sie stumm geboren wurden. Durch einen genetischen Defekt kann das Gehirn Sprechorgane, wie den Kehlkopf oder die Stimmbänder nicht richtig steuern. Wie unser Kind dennoch lernen kann sich zu verständigen und welche Möglichkeiten es für stumm geborene Kinder gibt, erfährst du in diesem Beitrag.

 

Wann du merkst ob dein Kind stumm ist?

Dein kleiner Schatz ist schon beinahe zwei Jahre alt und bis auf ein paar Laute, hast du noch kein richtiges Wort von ihm gehört? Andere Kinder in seinem Alter beginnen bereits erste Sätze zu bilden und rufen nach ihrer „Ma-Ma“. Dein kleiner Liebling teilt sich dir wie immer nur mit Gesten mit und schaut dich mit Kulleraugen an. Was ist los?

Bevor du dich mit Halbwahrheiten anderer Eltern verrückt machst, solltest du das Verhalten deines Kindes am besten direkt beim Kinderarzt abklären lassen und ihm deine Sorgen mitteilen. Er wird dein Kind untersuchen und an einen HNO-Spezialisten zur genaueren Diagnostik überweisen. Denn es hat nicht immer einen psychologischen Hintergrund, warum Kinder nicht sprechen. Während manche erst spät mit dem sprechen beginnen (Late Talker) und andere sich in einer überhöhten Form der Schüchternheit oder auf Grund eines Traumatischen Erlebnisses (Mutismus) verschließen, liegt bei deinem Kind möglicherweise ein medizinischer Grund vor. Es gibt Kinder bei denen ist die Stummheit angeboren.

Was bedeutet angeborene Stummheit genau?

Kinder, die stumm geboren werden entwickeln sich körperlich, wie geistig ganz normal. Sie lernen Krabbeln und Laufen und verständigen sich vorerst ohne Worte mit ihrer Umwelt. Oft merken Eltern erst spät, dass mit ihrem Nachwuchs etwas nicht stimmt. Während uns bei gehörlos geborenen Kindern schnell auffällt, dass das Kind nicht reagiert, wenn wir es rufen, ist es bei angeborener Stummheit schwieriger. Denn stumme Kinder sind oft sehr lebensfroh und auch intelligent. Sie lernen Sprache auf theoretische Weise, sie verstehen Worte auch wenn sie diese nicht nachsprechen können. Schuld daran ist ein genetischer Defekt, der zu einer Schädigung im Gehirn des Kindes führt. In Folge dessen ist der kleine Mensch nicht im Stande seine Sprechorgane richtig zu nutzen.

Um Laute und Worte zu formulieren, müssen wir unsere einzelnen Sprechorgane in einer bestimmten Reihenfolge bewegen. Durch Das Öffnen des Kiefers und des Mundraumes können wir beispielsweise ein „O“ formen und erzeugen damit ein völlig anderes Geräusch, als wenn wir unsere Lippen in den Wundwinkeln anspannen und die Zunge spitzen. Der Luftstrom verändert sich durch die Verschlussbildung und erzeugt einen eher zischenden Ton. All das ist einem stumm geborenen Kind nicht möglich. Denn die Befehle, die sein Gehirn für die Koordination der einzelnen Muskeln und Organe benötigt, kann es auf Grund einer Schädigung im Zentralnervensystem nicht geben. Die Folge: Es kommen, wenn überhaupt nur Quieckgeräusche heraus, so dass die meisten Kinder dann lieber komplett schweigen.

Was kommt nach der Diagnose?

„Das Kind ist stumm geboren!“, eine Nachricht, die einen trifft wie ein Donnerschlag, und nun? Unser Kind wird dadurch nicht weniger liebenswert, noch ist es zu einem Leben am Rande der Gesellschaft verbannt. Es bedeutet jedoch, dass wir uns intensiver mit dem Krankheitsbild unseres Kindes und seiner Sprachentwicklung auseinandersetzen müssen. Dein Kind muss nicht auf Sprache verzichten, im Gegenteil es braucht einen Weg, wie es mit seinen Mitmenschen kommunizieren kann, wenn ihm schon das gesprochene Wort nicht zur Verfügung steht. Und wir Eltern können unserem Kind dabei helfen, indem wir es fördern und ihm ermöglichen sich nonverbale Techniken anzueignen.

Welche Möglichkeiten der Kommunikation gibt es?

Nachdem wir uns gesammelt haben und der Grund für das Schweigen unseres Kindes geklärt ist, können wir unsere Energie darauf konzentrieren zu schauen, welche Maßnahmen die passendsten für unser Kind sind. Damit es nicht nur lernen kann sich mit anderen Menschen zu verständigen, sondern auch Freundschaften knüpfen und sich weiter normal entwickeln kann.

  • Gebärdensprache

Anders als bei Kindern, die auf Grund einer körperlichen Beschädigung stumm geworden sind, haben stumm geborene Kinder oft keine Möglichkeit durch einen operativen Eingriff oder eine medizinische Behandlung die Lautsprache zu sprechen oder wiederzuerlangen. Trotzdem haben sie das Bedürfnis sich mitzuteilen, ihre Gefühle zu zeigen und in Kontakt mit anderen zu treten. Wie das gelingt? Mit Hilfe von Gebärdensprache. Dein Kind lernt sich nonverbal mit Gestik und Mimik zu verständigen und erlernt zusammen mit ausgebildeten Lehrern und Sprachtherapeuten ein Zeichensystem, das mit den Fingern und teilweise mit Einbezug des ganzen Körpers verwendet wird. Sie bilden mit Hilfe einer Kombination aus Zeichen einzelne Wörter und sogar ganze Sätze.

Neben den Händen kommt vor allem auch der Mund zum Einsatz, mit sog. Mundbildern formt man Wörter und Silben die lautlos gesprochen werden. Auch die Körperhaltung und der Einsatz der Arme und Ellenbogen kommt manchmal zum Einsatz, wenn dein Kind dir z.B. sagen möchte: „Lass mich in Ruhe“ oder „ich liebe dich“.

Wenn du z.B. mit dem Zeigefinger und dem Daumen einen Kreis formst und die anderen Finger spreizt entsteht ein „OK“ Zeichen. Lege nun beide Handflächen übereinander auf deinen Brustkorb und ziehe sie zu den Schultern, als würdest du eine Pforte öffnen. So sagst du „Guten Morgen“. Auf dem Portal „Sprechende Hände“ findest du lustige und kindgerechte  Gebärden-Illustrationen zum Download und einige schöne Spiele zum Üben.

Beispiele für Kindergebärden:

 „Ich… (Zeige mit dem rechten Zeigefinger auf deinen Brustkorb)

…hab dich lieb“: Schließe die Augen und lächle. Streichle dabei mit der Handaußenfläche über deine Wange. Zeige nun auf die gegenüberliegende Person.

…danke dir“: Führe deine offene Handfläche zum Mund und berühre mit den Fingerspitzen kurz die Lippen. Dann neigst du die offene Hand, wie beim Verschicken eines Handkusses nach vorne.

…bin traurig“: Ziehe mit dem Zeigefinger einen Strich von deinem Auge weg über die Wange nach unten.

..bin glücklich“: Forme beide Hände zu Fäusten und strecke jeweils den Daumen heraus. Dann führe beide Daumen vor der Brust zusammen und ziehe die Hände in einer Sichelform zu den Schultern hoch. Dabei ziehst du die Mundwinkel ebenfalls nach oben und formst die Lippen zu einem Lächeln.

  • Gemeinsame Aktivitäten

Das wichtigste ist, dass nicht nur dein Kind die Gebärdensprache lernt, auch seine Geschwister und Eltern, sowie Großeltern, sollten sich mit ihr auseinandersetzen, damit sie alle miteinander kommunizieren können. Für dein Kind ist es unglaublich wichtig, dass es von seinen Eltern, den wichtigsten Bezugspersonen unterstützt wird. Das Erlernen der Gebärdensprache ist nicht so schwer, es ist vergleichbar mit einer neuen Fremdsprache und macht gemeinsam auch noch richtig viel Spaß. Jeder kleine Fortschritt wird dir mit deinem Kind den Alltag erleichtern und euch auch näher zusammenbringen. Dadurch stärkst du eure Eltern-Kind-Beziehung und ermöglichst deinem kleinen Schatz ein relativ normales Leben.

Auch Kinder, die gehörlos geboren wurden oder auf Grund einer körperlichen Schädigung der Sprechorgane nicht sprechen, können mit Hilfe der Gebärdensprache am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen. Sei es dass Sie eine Förderschule besuchen, wo andere Kinder in Gebärdensprache unterrichtet werden oder dass sie an Aktivitäten mit Gleichgesinnten teilnehmen. Solche gemeinsamen Projekte stärken nicht nur das Selbstbewusstsein deines Kindes und geben ihm das Gefühl trotz ihres Handicaps „ein ganz normales Kind“ zu sein, auch für uns Eltern kann es sehr hilfreich sein sich mit anderen betroffenen Familien zusammen zu tun, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen.

Weitere Tipps, wie Eltern ihr stummes Kind unterstützen können

Neben der Gebärdensprache, die du und dein Kind ja erst lernen müssen, gibt es auch noch andere Möglichkeiten, wie ihr euch gegenseitig verständigen könnt:

  • Gestik und Mimik

Achte auf die Gesten und den Gesichtsausdruck deines Kindes, wenn ihr miteinander kommuniziert. Das bedeutet, dass auch du dich beim Sprechen nicht von deinem Kind abwenden solltest, um z.B. Wäsche aufzusammeln oder das Geschirr zu spülen. Gerade wenn dein Kind noch klein ist, lernt es durch Beobachtung, wie du dich in bestimmten Situationen verhältst. Es kopiert Gesten und auch deine Mimik. Das hilft dir später dabei seine Emotionen zu lesen und sie besser deuten zu können. Das bedeutet: Sieh dein Kind beim Sprechen an und achte auf Signale, die es dir sendet.

  • Geschriebene Nachrichten

Bei älteren Kindern, die bereits gelernt haben zu Schreiben könnt ihr euch mit Hilfe der Schrift und kurzen geschriebenen Nachrichten verständigen.

  • Pantomime

Eine schöne Möglichkeit, wie unser Kind, aber auch wir Erwachsenen lernen können lockerer mit der Tatsache umzugehen, dass unser Kind stumm ist, ist Pantomime. Bestimmt kennt jeder das Gesellschaftsspiel „Tabu“, wo es darum geht Wörter durch Gestik und Mimik zu beschreiben, ohne zu sprechen. Es ist ungemein schwierig und meist haben die anderen was zu lachen. Aber was meinst du was für „Tabu- Spezies“ du und dein Kind werdet, wenn ihr eure Gestiken und Mimiken perfekt lesen könnt.  Zum Üben könnt ihr euch in eurer Familie ja selbst eine Art Spiel ausdenken, um quasi einen eigenen Wortschatz aus Zeichen und Gesten zu kreieren.

  • Tanzen

Auch Ausdruckstanz, Hiphop oder Theater sind ideal, wenn es darum geht, dass dein Kind einen Weg findet, wie es sich, seine Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken kann. Es kann die Musik ja hören und ein Rhythmusgefühl dafür entwickeln, wie es z.B. starke Gefühle, wie „Ich liebe dich“, anders als mit gesprochenen Worten sagen kann. Meistens entwickeln stumme Kinder ein sehr gutes Körpergefühl und sind viel feinfühliger als Kinder, die sprechen können.

Erfahre mehr zum Thema in unserer Artikelreihe zum Thema: Ursachen, warum Kinder nicht sprechen.